„Solange man da ist, geht einen diese Welt etwas an.“

Interview mit Dieter Schmid, der bis zum 30. Juni 2019 Vorsitzender des Diözesanausschusses Nachhaltige Entwicklung war.

Herr Schmid, vor 17 Jahren wurden Sie zum ersten Mal als Laienvertreter des Dekanats Ludwigsburg in den Diözesanrat gewählt. War es Ihr Anstoß, dass damals ein Ausschuss für Nachhaltige Entwicklung ins Leben gerufen wurde?
Nein, die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Organisationen und Verbände (ako) stellte den Antrag am 9.12.2002. Den vorgeschlagenen Namen für den Ausschuss finde ich heute noch höchst bemerkenswert: „Nachhaltige Entwicklung und Bewahrung der Schöpfung in Kirche und Gesellschaft“.

Also Nachhaltigkeit als Leitidee kirchlichen und gesellschaftlichen Handelns, nicht einfach ‚Umwelt- oder Klimaschutz‘. Darin wird zum Ausdruck gebracht, dass die großen Aufgaben von Umweltschutz, sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Prosperität als ein Ganzes und global zu sehen und Entscheidungen darauf hin abzuklopfen sind, sollen sie langfristig tragend, zukunftsfähig oder ‚Enkel-tauglich‘ sein. Außerdem heißt es im Titel: Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Damit wird auf die Schöpfungsspiritualität der Kirche als vierte Dimension der Nachhaltigkeit verwiesen - also Bewahrung der Schöpfung durch nachhaltiges Handeln. 

Das Logo des Nachhaltigkeitsausschusses will die Beziehung dieser vier Dimensionen symbolisch darstellen. Der Name ist Programm. Darin gründet der Kernauftrag des Ausschusses: Anwalt, Berater, Impulsgeber für Nachhaltige Entwicklung in der Diözese sein.

Mit welcher Motivation sind Sie damals gestartet?
Ich hatte 2001 ein Schlüsselerlebnis. Beim ‚UN-Erdgipfel‘ 1992 in Rio wurde das Aktionsprogramm „Agenda 21“ für eine nachhaltige Entwicklung beschlossen, das auf lokaler, regionaler, nationaler und überstaatlicher Ebene umgesetzt werden sollte. Im Rahmen dieses UN-Agenda-Prozesses habe ich zusammen mit einem früheren Allensbach-Kollegen die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie in einer Gemeinde auf der Alb begleitet. Für mich überraschend war: Es haben viele Bürger, Vereine und Gruppierungen engagiert mitgemacht, aber die Kirchengemeinden blieben außen vor. ‚Das darf doch nicht wahr sein‘ dachte ich bei mir. Von diesem Eindruck her habe ich mich dann für den DA Nachhaltige Entwicklung entschieden, ich sah es als Chance.

Was würden Sie im Rückblick als Meilensteine der diözesanen Nachhaltigkeitsaktivitäten kennzeichnen?
Nachhaltige Entwicklung ist ein Weg, kein Projekt - ein Weg, der kommt beim Gehen. Die „große Politik“ hat Ziele und Marken gesetzt, dem sind die „kleinen Politiken“ mehr oder weniger gefolgt. Der konziliare Prozess ‚Friede, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung‘ ist das kirchliche Pendant zur UN-Initiative ‚Agenda 21‘. Die Enzyklika ‚Laudato Si‘, Das Klima-Abkommen von Paris und die UN-Agenda 2030 sind die jüngeren Säulen für die Stabilisierung unseres gemeinsamen Hauses.
Mit der Einrichtung der halben Personalstelle des Umweltbeauftragten (1990), hat die Diözese einen ersten Meilenstein gesetzt. Herr Schneider hat mit recht bescheidenen Mitteln einiges auf den Weg gebracht, u.a. das Programm ‚Kirchliches Umweltmanagement mit EMAS-Zertifizierung für Kirchengemeinden‘ eingeführt. Die Zertifizierung der ersten 12 Gemeinden 2003 war ein wichtiger Meilenstein.
Um etwas bewegen zu können, braucht es Beschlüsse und Entscheidungen. Also haben wir den Prozess ‚Pastorale Prioritäten‘ (2003) genutzt und das Handlungsziel eingebracht „Zum Wohl der Schöpfung Handeln: Nachhaltiges Handeln im persönlichen Lebensbereich sowie in Kirche und Gesellschaft stärken“. Für die Arbeit des Ausschusses war das enorm wichtig, denn auf diesen Grundsatzbeschluss konnten wir uns im Folgenden mit allen Initiativen und Anträgen berufen.
Die Klima-Initiative des Bischofs (2007) war natürlich das Highlight für eine ganze Dekade. Sie hat uns viel Rückenwind gegeben, Ansatzpunkte und natürlich auch notwendige Finanzmittel. Die Klima-Initiative hat auch in punkto Organisationsentwicklung eine Innovation gebracht: Nachhaltige Entwicklung liegt in der gemeinsamen Verantwortung aller, nicht in der Zuständigkeit einer Hauptabteilung. Das Strategieentwicklungsteam (STET), die Steuerungsgruppe der Klima-Initiative, wurde demzufolge abteilungsübergreifend besetzt, um dem Charakter der Nachhaltigkeit als Querschnittsaufgabe Rechnung zu tragen. Auch der Diözesanrat hatte darin - vertreten durch den Vorsitzenden des DA Nachhaltige Entwicklung - eine Stimme.
Der DA NE hat - gemäß seines Auftrags - von Anfang an gesagt, dass Klimaschutz zwar ein wesentlicher, aber nur ein Teilaspekt der Nachhaltigkeit ist. Deshalb haben wir für die Haushaltsperiode 2011/12 den pastoralen Schwerpunkt eingebracht „die Klima-Initiative weiterentwickeln zum umfassend nachhaltigen Handeln“, der dann auch vom Diözesanrat quasi als Daueraufgabe so angenommen wurde.
Das Klimaschutzkonzept und die Nachhaltigkeitsleitlinien - 2018 vom Diözesanrat beschlossen - sind die jüngsten Meilensteine. Entschlossen, das gesamte diözesane Handeln nachhaltig zu gestalten und bis 2050 vollständige Klimaneutralität zu erreichen richtet die Diözese den Blick weit in die Zukunft. Bleibt zu hoffen, dass dem Willen auch die geplanten Taten folgen und aus den Meilensteinen keine Stolpersteine werden.

Geben Sie Erfahrung weiter: Wie bringt man Nachhaltigkeitsthemen am besten voran?
Drei Leitsätze sind mir wichtig geworden:
„Wir kommen wohin wir schauen“ - man braucht eine Vorstellung, wo es hin gehen soll (Vision). Wir hatten das Fernziel stehts vor Augen: Das gesamte diözesane Handeln muss nachhaltig werden. Deshalb pushten wir die Weiterentwicklung der Klima-Initiative.
„Auch die Sache Nachhaltigkeit braucht Begeisterte“ - bewegte Beweger. Die hatten wir. Darum gilt mein Dank ganz besonders den Weggefährten der ersten Jahre: Klaus Barwig, Dr. Heiner Giese, Stefan Schneider sowie Dr. Thomas Broch und Peter Silberzahn, die etwas später dazu kamen.
„Wer ernten will, muss säen“ - sprich vorangehen und machen mit Mut, einem Schuss Hartnäckigkeit und Dialog- und Kooperationsbereitschaft. Säen, säen, säen … und sich freuen, was da wächst.

Wo sind Sie auf offene Türen gestoßen, …
Beim Bischof, anfangs bei wenigen in der Diözesanverwaltung. Präsidium und Geschäftsleitung des Diözesanrats haben unsere Arbeit immer sehr wertschätzend und wohlwollend begleitet.

… wo auf Widerstand …
Schöpfungsverantwortung ist ein zentraler kirchlicher Auftrag. Zur Verkündigung der Frohen Botschaft gehört deshalb auch die ökologische Dimension. Dass diese ausdrücklich nicht in den pastoralen Prozess ‚Kirche am Ort‘ thematisch aufgenommen wurde, ist ärgerlich weil eine vertane Chance, schöpfungsfreundliche Kirche sein an der Basis zu aktivieren. – In der Verwaltung war der Widerstand gegen PV auf kirchlichen Dächern anfangs enorm.

… – haben Sie da Überraschungen erlebt?
Ja, der Elan und die Arbeitsweise im ersten Ausschuss: Keine papers, handlungsorientiert (Was machen wir daraus?“) - das war eine starke Truppe. Die nachfolgenden MitstreiterInnen waren nicht weniger aktiv, aber das war dann schon normal.
Die Trägheit in der Verwaltung, die Verweigerungshaltung einzelner Entscheidungsträger, die Skepsis („Wer weiß, ob der Bischof das so meint, was er sagt“) in Bezug auf die Klima-Initiative haben mich schon überrascht.

Hat sich der Ausschuss auch mal an einem Thema „die Zähne ausgebissen“?
Oh ja, an mehreren. Heiligkreuztal zum Beispiel. Unser an den Potentialen orientiertes Konzept, mit Hilfe der Bundesumweltstiftung das Kloster Heiligkreuztal zu dem Nachhaltigkeitszentrum in der Diözese zu entwickeln, fand keine Follower.
Oder: Die Zusammenführung aller nachhaltigkeitsrelevanten Maßnahmen in einer HH-Position, damit sichtbar wird, was wurde in Sachen Nachhaltigkeit geplant, getan, ausgegeben und was wurde damit erreicht.
Und: Erhöhung der Personalkapazität, Aufstockung des Deputats des Umweltbeauftragten war lange nicht durchzusetzen.

Wo bleiben für Sie persönlich die größten Wünsche offen?
In der Schicksalsfrage, wie wir in dieser veränderten Gesellschaft den Glauben verkündigen und weitergeben können - mit immer weniger Personal. Die ständige Beteuerung, der Zugang zum Priesteramt könne nur weltkirchlich geändert werden, ist ein Ärgernis. Die Fakten sind bekannt, es braucht Reformen - endlich! Es braucht Lösungen, Entscheidungen des Papstes zusammen mit den Bischöfen. Ich denke, es braucht dafür eher ein Konzil, nicht noch einen „synodalen Weg“.
Angesichts der demographischen Entwicklung und hausgemachter Probleme rückt auch die Thematik ‚nachhaltige Finanzen‘ stärker und bedrohlicher in den Vordergrund. Gleichwohl: Unser Reichtum sind die Menschen, die das Evangelium begriffen haben - nicht das Geld. Nur leider gibt es die immer weniger - auch weil viele Gemeinden keine Hirten mehr haben.

Wie lautet Ihr Fazit aus den 17 Jahren?
Die schöpfungsfreundliche Diözese Rottenburg-Stuttgart ist gut auf dem Weg zum nachhaltigen Handeln.  Und ich bin dankbar, dass ich diesen Weg mitgestalten konnte. Diese 17 Jahre im Ehrenamt der Diözese Rottenburg-Stuttgart waren für mich eine spannende Herausforderung und sinnerfüllte Zeit.
Ich wünsche weiterhin gutes Gelingen, dem Diözesanrat Mut und Entschlossenheit, die gesteckten Ziele im Auge zu behalten und Realisierungsfortschritte beharrlich einzufordern.

Und: Juckt es Sie angesichts von ‚Fridays for Future‘ nicht in den Fingern weiterzumachen?
Ja schon, die Zukunft hängt davon ab, was wir heute tun. Demo ist wichtig, aber nicht so meins - Handeln ist entscheidend, da wo man ist. Ich versuch‘s: zuhause, in meiner Kirchengemeinde, in meiner Stadt … Solange man da ist, geht einen diese Welt etwas an.
In diesem Sinne sag ich DANKE und ADE.