Demokratie ist das Glaubensbekenntnis unserer Gesellschaft
Stuttgart, 21. Januar 2024 - Mehrere Tausend Menschen haben am Sonntag, 21. Januar 2024, auf dem Stuttgarter marktplatz für Demokratie und gegen rechts demonstriert. Die vom Jüdischen Studierenden-Union organisierte Demonstration stand unter dem Motto "Stuttgart hält zusammen - Demokratie, Vielfalt, Freiheit verteidigen". Ordinariatsrätin Karin Schieszl-Rathgeb sprach für die katholische Kirche in Württemberg. Ihre Rede im Wortlaut:
Liebe Freundinnen und Freunde!
Liebe Stuttgarterinnen, liebe Stuttgarter,
Wir setzen heute hier in Stuttgart und im ganzen Land gemeinsam zu zigtausenden ein starkes Ausrufezeichen gegen rechten Extremismus, Gemeinsam zeigen wir: Extremismus ist nichtin der Mitte der Gesellschaft angekommen. Rechte Gesinnungen haben bei uns keinen Platz!
Denn: Wir sind viele! Wir sind die Mehrheit! Danke, dass Sie gestern, heute und auch morgen noch auf die Straße gehen!
Plötzlich stehen mit dem Unwort des Jahres „Remigration“ Ideologien im Raum, die ganz schauerlich an 1941 erinnern. Die völkischen Nationalisten der AfD und der Identitären Bewegung setzen diesen Begriff in die Welt und missbrauchen ihn für ihre perfiden Pläne.
Besonders verbrecherisch ist, ich sag‘ frei heraus, liebe Freundinnen und Freunde, weil Remigration für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus nach 1945 „Rückkehr“ aus dem Exil bedeutete. Damit betreiben die Rechten nicht nur Geschichtsumkehr. Sie rücken ihre Absichten in die Nähe der Opfer der Nazi-Verbrechen. Das ist zynisch, liebe Freunde! Das sind nicht nur dunkle Geister, von denen wir hofften, sie seien auf ewig verschwunden. Das ist brandgefährlich!
Und wenn Höcke – wie am Freitag geschehen – Protestkundgebungen wie die heutige mit Nazi-Fackelmärschen von 1933 vergleicht und sich so selbst zum Opfer macht, spätestens dann ist eine Grenze erreicht, die sagt: Stopp diesem Mann und seiner Partei!
Liebe Freunde!
Der Tag der Flüchtlinge und Migranten, den wir heute am 21. Januar begehen, wurde von einem Papst – es war Benedikt XV. – zu Beginn des Ersten Weltkrieges ins Leben gerufen, weil er eine Katastrophe kommen sah. – Nämlich die Flucht und Vertreibung von Millionen Menschen.
Rechtspopulisten sollten genau hinschauen, wenn sie die Aufnahme von geflüchteten Menschen zur Nagelprobe für unsere Demokratie machen. Flucht wird zum größten Teil durch Autokraten und Verbrecher und deren Taten bestimmt: durch Asad, Putin, Trump, die Hamas, al Quaida und noch viele mehr!
Ich spreche für die katholische Kirche in Württemberg heute und sage ganz deutlich:
Der Glaube an einen barmherzigen, liebenden Gott und extremistisches Gedankengut sind nicht miteinander vereinbar! Denn jeder Mensch hat doch eine gottgeschenkte Würde! Dieseist absolut unantastbar!
In diesem Jahr feiern wir 75 Jahre Grundgesetz. Nicht ohne Grund also steht die unveräußerliche Würde des Menschen unverrückbar als Artikel 1 über allem anderen.
Als Christinnen und Christen treten wir ein
- für die sozial Schwachen und Ausgegrenzten, für Frieden und für gerechte Teilhabe.
- Wir treten ein für die Menschen, die Sicherheit in unserem Land suchen.
- Wir schützen die, die bedroht, angegriffen und diskriminiert werden.
- Und: Weil die Würde eines jeden Geschöpfes für uns das höchste Gut ist, kann man mit uns auch nicht über Rassismus und Antisemitismus verhandeln. Dies gilt ganz besonders für die jüdischen Bürgerinnen und Bürger hier in unserer Stadt und in unserem Land!
Liebe Freundinnen und Freunde,
Demokratie ist das Glaubensbekenntnis unserer Gesellschaft. Demokratiefeindlicher Extremismus und Christsein schließen sich einfach aus. Unser Wahlprüfstein ist die Nächstenliebe!
Wer sich in unseren Verbänden, Räten und Gremien engagiert, kann nicht AfD-Mitglied sein. Ebenso wenig ist die AfD für Christinnen und Christen wählbar!
Denn wir alle sind gefordert, für die Demokratie einzustehen! Wir alle sind gefordert für sie einzustehen – sichtbar auf den Demos – und, weil dort die Gefahr am meisten droht – natürlich auch im Netz.
Meine Damen und Herren,
seien wir wachsam! Schenken wir den Menschen, ihren Sorgen, ihrer Angst, JA, und auch schon ihrer Wut, offene Augen und vor allem – ein hörendes Herz!
Wir sind viele! Wir sind mehr! Danke, dass Sie sie da sind!